Stuttgarter Nachrichten vom 26.11.2001


Die Junge Oper Stuttgart präsentiert "Der Schweinehirt"
Wenn Märchen verschwinden

Es ist ein Traumtheater. Mit einem Mal sind Bilder da, die sich zu bewegen beginnen. Mit einem Mal sind Klänge da. So beginnen gemeinhin Märchen, so beginnt Gerhard Schedls Kinderoper "Der Schweinehirt" nach dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen (Libretto: Attila Böcs) - einem Spuk gleich.

Die Junge Oper Stuttgart hat das Werk aufgegriffen, in der Regie von Andrea Schwalbach. Sie hat mit liebevollem Blick auf das Sujet nach dem Motto gehandelt: "Die beste Regie ist die, die keiner bemerkt." Den "Schweinehirt" hat sie auf die Bühne des Kammertheaters gebracht wie eine Erzählerin, die weiß, wie sie enden wird, aber erzählt, als wisse sie es nicht.

Das "Es war einmal" beginnt vor einer schwarzen Wand, an der entlang sich eine lange Bank zieht. Ein skurriles Musikerquartett sitzt darauf mit Flöte, Saxofon, Gitarre und Violoncello (Birgit Maier, Carsten Netz, Andreas Ogger, Florian Simma), fiept, quietscht auf seinen Instrumenten. Dass das einmal Musik werden könnte, glaubt wirklich keiner (Musikalische Leitung und Chorleitung: Frank Oidtmann). Eine bunte Gesellschaft schwirrt drum herum im Schulmädchenlook, in zickig-spießigen Abendroben - dazwischen ein merkwürdig bunter Vogel, der aussieht wie eine Mischung aus Haremswächter und Rapper. Er (Matthias Jungermann) übernimmt als Figurenspieler die Funktion des Erzählers, aber auch die des flapsig ironisierenden Kommentators und des Alter Ego der Regisseurin. Er hat die unsichtbaren Fäden in der Hand.

Während er den Plot erzählt, verwandelt sich die bunte Truppe mit wenigen Handgriffen vor aller Augen mittels weißer Roben aus Papier in die Adelsgesellschaft des Märchens, das beginnt: "Es war einmal ein armer Prinz; er hatte nur ein ganz kleines Königreich; aber es war immer groß genug, um sich darauf zu verheiraten, und verheiraten wollte er sich. Nun wir wollen hören." In diesem Moment bricht die schwarze Wand in Einzelelemente auf. Auf deren Rückseiten sind die Räume des Märchentraums installiert, eine Rokokowelt aus Zeitungspapier. (Bühne und Kostüme: Nanette Zimmermann). Man weiß, wie das Märchen seinen Fortgang nimmt. Der arme Prinz (Andreas Hermann), der eine wunderbar duftende Rose der Dame seines Herzens (Andrea Chudak) zu Füßen legt, wird verschmäht von dem verwöhnten Prinzessinnengör. Erst in der Verkleidung des Schweinehirten, der die wundersamsten Dinge erfindet, hat er den Erfolg bei ihr, den er dann allerdings verschmäht. Auch noch vom Vater (Adrian Arcaro) verstoßen, steht die zickige Süße dann buchstäblich im Regen, mit ihr die Hofgesellschaft. Am Ende nach einem Wirbel der Gefühle und Spiele lässt der Figurenspieler seine Figurinen wie von Zauberhand auf einen Schlag verschwinden.

Die Kulissenelemente stehen kreuz und quer. Alles ist schwarz. Also doch nur geträumt von perfekt atonal gackernden Hofdamenchören, von keck zirpender Prinzessin und schlau werbendem Prinzen? Die Geschichte darüber, wie Märchen entstehen und gleich wieder verschwinden, wird bis 21. Dezember 17-mal gespielt.

von Annette Eckerle