Der Eismann

Es war der 6.12.98. Ein Sonntag. Und es war Nikolaustag. Es hatte unheimlich geschneit! Ich wachte auf und zog die Vorhänge meines Fensters zurück. Alles weiß. 15 cm Tiefschnee. Da hatte ich Lust nach draußen zu gehen und die weiße Pracht zu genießen.
Ich ging spazieren. Dick eingepackt, mir war nicht kalt. Ich hatte mir den Kriegsbergturm als Ziel ausgesucht, der lag in meiner Nähe. Unterwegs dachte ich mir, warum ich nicht weiter ländlich spazieren gehe, aber das änderte sich schnell, denn ich sah, daß es am Kriegsbergturm extrem schön weiß und unberührt war.
Der Kriegsbergturm wurde vor 104 Jahren erbaut, vom Verschönerungsverein der Stadt Stuttgart. Es ist ein kleines Türmchen mit einer Laube am Fuß und man hat wundervolle Übersicht über Stuttgart. Übersicht über Stuttgart hat man in Stuttgart an verschiedenen Orten, doch der Kriegsbergturm liegt extrem dicht am Zentrum, und man kann von dort am steilsten hinunter schauen.

Eine Weile genoß ich den Anblick. Auf dem Weg zum Turm formte ich immer wieder kleine Schneebälle und pfefferte sie an Hauswände und gegen Bäume. Die Wege waren noch nicht geräumt und immer wieder reizte mich der Schnee ihn anzufassen. Am Kriegsbergturm sah ich, daß Kinder einen Schneemann gebaut haben. Der stand dort nun am Fuße des Berges und die Kinder rodelten wieder. Ich wollte auch einen Schneemann bauen. Doch nicht einen "klassischen" mit Karotte als Nase, sondern einen richtigen. Mit Armen und Beinen. Einen richtigen Mann wollte ich bauen, eine Bank stand dort und ich machte mich daran größere Kugeln zu formen. Diese größeren Kugeln konnte man später aufeinander setzen und mit Schnee zuschmieren. Drei kleine Türkische Kids tollten im Schnee und beäugten mich auch mal komisch, wie ich da meine Kugeln mit den Händen formte. Nach einer Weile kam der eine und fragte, ob das meine Kugeln wären die dort auf der Bank liegen und ob er die haben könnte. Die drei haben sich vorher ausgiebig mit Schnee beschmissen und ich wußte, das die Gefahr groß war, daß auch meine Kugeln Opfer der drei werden könnten. Ich meine zu dem Jungen, daß das meine wären und daß er sich doch selbst welche machen sollte, es läge ja genug Schnee herum. Das tat er. Jedoch wurden seine Kugeln nicht so groß und fest wie meine, und nach einer Weile fragte er mich, was ich eigentlich machen würde und ich sagte ich wolle einen Schneemann bauen, der Arme und Beine haben sollte und auf der Bank sitzen wird. Er wollte mir helfen, so begann er Schnee heran zu schaffen und seine beiden Freunde begannen nach einer kurzen türkischen Unterredung ebenfalls mit dem Formen von Schneekugeln.



Einige Kugeln waren fertig. Ich wußte, daß ich lieber erst den ganzen Schnee da haben würde und erst dann anfangen zu bauen wollte, doch die drei würden schnelle Ergebnisse lieber sehen, und so baute ich also nach wenigen Kugeln schon den Rumpf, den Bauch, die noch schmalen Schultern und der erste der drei kleinen Türken kam mit einer großen Kugel an und meinte, "das ist der Kopf", und setzte ihn auf den schon dastehenden Rest.

Die anderen Beiden haben nach kurzer Zeit die Lust verloren und verspritzten den Rest ihrer Cola-Flaschen im Schnee, der sich braun färbte. Die Flaschen ließen sie liegen, sie sollten mir später noch dienen. Der kleine Türke verabschiedete sich dann nach einer Weile "Tschüss!", "OK, und danke fürs helfen!", und die drei zogen von dannen, ich sah sie noch unten auf der Straße entlang gehen und Unfug treiben.

Ich formte die Schultern und den Oberkörper noch mehr aus, breiter, flacher, nicht wie eine Säule, und schließlich begann ich mit den Armen. Erst der linke Arm. Eine Zeit baute ich von oben nach unten, ich pappte immer wieder frischen Schnee an den Körper, doch dieser konnte den bald nicht mehr halten, und so entschloß ich ihm von unten entgegen zu bauen. Die Arme sollte seitlich ausgestreckt sein, er sollte ich seitlich auf der Bank beim Sitzen abstützen. Dann kam der Augenblick, wie der Unterteil auf den Oberteil treffen sollte, erst war die Verbindung brüchig, und mit immer mehr Schnee wurde sie immer dichter und fester und der erste Arm war fertig. Es ist wichtig, daß man nur lockeren Schnee nimmt und keinen schon einmal geformten Schnee. Die Brocken haften nicht so gut und das Gesamte wird leichter brechen, weil die Bindungen zwischen den einzelnen Brocken nicht so gut ist. Ich strich immer wieder über den fertigen Arm, um ihn glatt zu machen und ihm Form zu geben. Das dort Brocken herausschauten sollte nicht sein. Sie wurden abgeschliffen durch meine rotierende Hand. Die Schulter war unheimlich groß geworden. Eine riesengroße Schulter und daran ein starker Arm, der Körper dagegen unwesentlich größer. Schönheitskorrekturen später.

Der zweite Arm folgte, etwas schneller mir der Erfahrung des ersten Armes und schon war mein Schneemann ein Torso, der seine Arme rechts und links auf der Bank abstützte. Ich mußte die Schultern dem Rücken angleichen, der Rücken bekam einige Schneeladungen und hatte schon bald die tolle V-Form. Die Vorderseite war schon recht gut gelungen und bedurfte keiner großen weiteren Bearbeitung. Der gute sollte nicht nackt dasitzen, deshalb verzichtete ich auf weitere Ausarbeitung des Oberkörpers.

Die Beine sollten noch kommen. Zwei Säulen von der Erde nach oben bis in Kniehöhe, einen Knubbel als Knie drauf und die Verbindung zu Rest des Körpers schaffen. Mit dem rechten Bein wurde es arg schwierig, den es brach mir immer wieder ab und ein und ich mußte mit Frischschnee, der um mich herum weniger geworden war neu kleben. Jede weitere Bearbeitung brachte es jedoch wieder zum Brechen. Das passierte vier Mal. Man mußte vorsichtig zudrücken, immer einen Gegendruck hinzufügen, sonst bricht es durch, und nicht wackeln, denn dann hatte man ein Teil des Beines in den Händen und der andere Teil hat auf der Erde gelegen. Beim zweiten Bein achtete ich besonders darauf, daß ich nur neuen Schnee benutzte, und das Ergebnis war nur ein Zusammenbruch!

Schließlich stand der Gute! Vielmehr saß er. Auf einer Bank am Kriegsbergturm mit Blick auf Stuttgart. Es schneite wieder, dunkle Wolken zogen heran und der abgeerntete Raum um den Schneemann wurde langsam wieder weiß. Ich setzte letzte Schliffe an den Körper. Hier und da noch was weg, dort noch etwas ausbessern und Lücken füllen. Den Kopf nahm ich ab, baute einen Hals und setzte den Kopf wieder hinauf. Im ersten Augenblick sah er nun etwas langhälsig aus, doch nach einigen daran arbeiten mußte das so sein, und er sah aus wie ein Mensch, fest gefroren und eingeschneit.

Schon während des Bauens kamen Leute und schauten, was ich da tue. Es war bestimmt ein komisches, zumindest ungewohntes Bild, wenn ein 21jähriger junger Mann einen Schneemann baut und sich so viel Mühe gibt damit. Ich hatte nur Lust dazu. Es war mir klar, daß er nicht lange stehen würde, daß er spätestens am nächsten Morgen zertreten auf der Erde liegen würde, doch es reizte mich, ich wollte es probieren und ihn fertig machen.

Kleine Kinder kamen, mit ihren Eltern, die sie dann von dem Schneemann fern zogen, daß sie den nicht kaputt machten. Hundebesitzer beäugten mich und ihn, und immer wenn die Großen die Kleinen mit dabei hatten, sprachen sie mich an und unterhielten sich mit mir. Sie fanden es gut, daß jemand so etwas noch macht, und sie haben sich bestimmt auch gewundert daß jemand so etwas noch macht, wo er doch bestimmt nächsten Morgen kaputt sein wird und wenn nicht dann, dann spätestens wenn der Schnee schmelzen würde, und das wäre am Mittwoch. Eine ältere Frau schaute mir beim Beinmachen über die Schulter und sagte "Gut." Ich schaute hoch, wer da gut sagt, darauf sie weiter: "Ach, ich wollt' nur fragen ob sie eine Handschuh vermissen, aber ich sehe ja, sie haben 2 Handschuhe an. Ich habe dort hinten einen Handschuh gefunden, ganz gefroren, falls jemand einen sucht, ich hab' ihn..."
Eine andere Frau stand als er fertig war lange dabei und meinte zu mir, "man müßte den eigentlich knipsen". Ich hatte aber keinen Photoapparat mit und sie auch nicht.

Ich ging schließlich nach Hause. Ich hatte mir die beiden Cola-Flaschen der türkischen Jungs mitgenommen, das waren immerhin 1,40 DM Pfand. Als ich dann zu Hause war, sammelte ich alle Flaschen der WG zusammen die man verschließen konnte, füllte sie mit Wasser und machte mich schließlich wieder auf den Weg, um zu meinem Schneemann zurückzukehren. Zwischendurch was essen war auch mit drin. Um 11 Uhr habe ich angefangen und um halb 3 machte ich mich zum zweiten Mal auf dem Weg zum Kriegsbergturm, um meine Schneemann mit Wasser zu überschütten, damit er über Nacht gefriert. Ich habe nicht ernsthaft gedacht, daß er noch stehen könnte, doch ich wollte weiter machen. Und als ich beim Turm angekommen war, da wartete mein Schneemann noch auf mich und ich glaube, er war froh wieder beschützt zu sein.

In meiner Abwesenheit hätte jeder gegen den Schneemann treten können und er wäre umgekippt. Nun aber war ich wieder da, und niemand würde sich so etwas trauen, der nicht halbwegs Anstand hat. Ich habe den Schneemann beschützt. Auch wenn die Sonne ihn weg getaut hätte, so wäre ich bei ihm gewesen und er wäre mit meiner Pflege vergangen. Dieses Bild mag albern sein, doch dieses Gefühl hatte ich wirklich, er war fast mein Freund, ich habe ihn gemacht und mein Herz hing an ihm. Das wird jeder gleich empfinden, wenn er einmal Gefühle zuläßt. Man wird wieder wie ein Kind, das seinen ersten Schneemann aus eigenem Antrieb mit aller Liebe allein baut. Und man wird zu diesem Kind. Wie gut, wenn man sich diese Situationen bewahren kann und sie nicht verwirft als "Kinderkram" und als unnütz erachtet, denn in diesen Dingen stecken bestimmt noch mehr Dinge als Schneemann bauen, nämlich Verantwortung, guter Umgang miteinander und Achtung voreinander. Die Welt wäre besser zueinander, wenn wir Schneemänner mit Liebe bauen würden.

So übergoß ich also meinen Schneemann mit dem mitgebrachten Wasser. Das war teils fatal, doch ich sagte mir, das die Wirkung erst später eintreten würde. Das Wasser schwemmte den Schnee teilweise weg, machte ihn dünn. Ich besserte die dünnen Stellen mit Frischschnee nach, der inzwischen wieder 5 cm gefallen war. Ich hoffte, daß ich meinen Schneemann am nächsten Tag wiedersehen konnte, daß er nun noch stand gab mir Hoffnung. So verabschiedete ich mich von ihm. Legte ihm die Hand auf die Schulter und strich ihm über die Wange. Bevor ich das tat, fragte ich mich ob das nun nicht doch etwas zu heftig sei, doch danach hatte ich ein gutes Gefühl mich freundlich von einen Freund verabschiedet zu haben. Ich hoffte, daß er die Nacht übersteht, doch konnte ich mir nicht sicher sein.





Am nächsten Mittag sollte ich wieder bei ihm sein. Ich hatte Sprechunterricht, habe noch am Bahnhof eine Film gekauft, meine Kamera schon im Rucksack und wartete auf den Bus, der nicht kam. In der Nacht hatte es heftig geschneit, und der Buslinienverkehr war zusammen gebrochen. U-Bahn und S-Bahn fuhren regelmäßig, doch ich wollte auf den Kriegsberg, und da fuhr die 43 hin. Es kam ein Bus, und ich stand 30 min darin, bis dieser das Signal zum Fahren bekam.

Und wieder wartete mein Eismann auf mich. Ich war froh ihn zu sehen und dachte mir, daß ich einen guten Standort für ihn hier ausgesucht habe. In der Nacht war es eingeschneit, der Rücken und der Po, die Schultern und die Beine, nicht zuletzt der Kopf waren mit Pulverschnee bedeckt und er machte einen guten Eindruck. Klare Formen, keine Unebenheiten. Endlich nahm ich meinen Photoapparat und schoß ein paar Bilder, die hoffentlich etwas werden. Eine Weile leistete ich ihm noch Gesellschaft. Eine Frau mit einem Hund kam, sie war gestern schon dagewesen. Sie geht die Strecke wohl immer. Und wieder fand sie den Eismann Klasse.
Ruhig ließ ich den Eismann allein. Ihm war über Nacht nichts passiert, dann würde ihm auch jetzt nichts weiter passieren. Er war über Nacht gefroren, dank dem Wasser. Wenn er Schläge bekommen würde, dann würde er in einem umfallen, oder zumindest in 5 verschiedene Teile. Er wäre nicht weg.

Als ich an diesem Mittag nach Hause kam, rief ich die Stuttgarter Nachrichten an. "Guten Tag, mein Name ist Jungermann, ich möchte ihnen einen Tip geben. Am Kriegsbergturm steht ein ganz toller Schneemann!" Man verband mich ein paar mal, und dann meinte eine Frau zu mir, sie schaut mal, ob sie noch einen Fotografen auftreiben kann, aber die würden auch wie alle anderen im Schnee feststecken.

Eine ganze Stadt versinkt im Schnee. Dabei ist es wirklich nicht extrem viel Schnee. 20 cm und die Stadt hat ihren Rhythmus verlangsamt. Die Busse fahren nicht mehr planmäßig, nun auf die U-Bahn und die S-Bahn kann man sich noch verlassen. Dabei hatte es doch den Großteil schon am Sonntag geschneit. Wenn man Zeitnot hat, dann kann es wirklich nervig sein. Man wartet an der Bushaltestelle, man entschließt sich ein Stück zur nächsten Haltestelle zu gehen, und dann wartet man da wieder. Man hetzt von einem Termin zum nächsten und kommt immer zu spät. Dumm, wenn dies der Dauerzustand ist und nicht nur wenn Schnee liegt! Doch wenn man den Nachmittag frei hat, dann entspannt man sich schlagartig, man genießt den Schnee und kann über den Weihnachtsmarkt schlendern.



Abends wollte Thomas aus meiner WG noch etwas mit mir machen. Da ich keine Lust auf Lokalität und Leute hatte, beschlossen wir noch einmal zum Kriegsbergturm zu laufen. Bing-Cing, den Chinesen aus unserer WG nahmen wir mit. Bis dahin war es gut. Ich war in gewisser Weise auch neugierig, ob mein Eismann noch stand, oder ob er nicht mehr ganz war. Er war noch ganz. Ich freue mich, und wir beschmissen vorbeifahrende Autos mit Schneebällen. Trafen nur nicht. Wir sahen eine Gruppe von 5 Leuten die Straße hinauf ziehen, lachend und lärmend, und mir war nicht ganz wohl und ich wäre lieber jetzt nicht hier gewesen. Nicht das ich Angst um mich gehabt hätte, doch ich wollte nicht zuschauen, wie der Eismann nicht mehr weiter Eismann sein sollte. Die Gruppe kam herauf, und das eine Mädchen stürmte gleich auf den Guten Eismann zu. "Och, schau' mal den an, das ist mein neuer Freund!" Dabei schmiegte sie sich von hinten an seinen Rücken und legte den Arm um ihn. Eine andere fragte den Thomas: "Habt ihr den gemacht?" worauf Thomas meinte, daá ich derjenige gewesen bin, der den gemacht hat. Sie setzten sich auf eine Bank in der Laube neben dem Turm. Nach einer Weile kam das Mädchen wieder, stellte sich vor den Eismann, schaute uns an und fragte: "Darf ich den kaputt machen?" Thomas: "Nein, nein, das wäre nicht so gut." "Wieso?" fragte es dumm zurück, und Thomas erklärte, daß ich das wohl nicht so prall finden würde. Sie ging wieder.

Thomas hatte einen Freund am Kriegsbergturm wohnen, den Wolfgang, den wollte er nun besuchen, doch ich hatte keine Lust auf Leute. Der Wolfgang wohnte zudem in einer Studentischen Vereinigung mit Wappen und so, und sie mögen noch so harmlos sein, mir sind diese Leute nicht die Tollen. So ging er also hinein und Bing-Cing und ich wollten nach Hause. Als wir den Berg hinuntergingen, sah ich wie das eine Mädchen sich wieder dem Eismann näherte. Bing-Cing sah es auch und „äußerte verbal seinen Mißmut darüber, worauf sie meinte: "Ich mach nichts, ich mach ihn nur schön!" Ich hatte schon wieder weg geschaut, als das andere Mädchen ein "Oh, Mann, nicht!" losließ, ich schauen wollte, aber nichts sah, denn ein Baum stand im Weg. So schaute ich wieder weg. und wir gingen die ganze Zeit weiter.

Als wir auf der Straße waren und ich nichts mehr erkennen konnte und auch keine Leute sah, fragte ich Bing-Cing, ob er gesehen hätte, daß die Mädchen den Kopf kaputt gemacht haben, doch Bing-Cing verstand mich nicht.



Bis jetzt war ich noch nicht wieder da. Inzwischen ist er auch geschmolzen. Ich denke wenn ich meinen Eismann zertreten am Boden sehe, dann... Groß traurig sein hilft nicht mehr. Wieder aufbauen bringt es auch nicht. Oder sollte es vielleicht gerade das bringen? Ich mache mir Gedanken über das Mädchen, das ihn kaputt gemacht hat. Wie kommt ein Mensch zu so etwas. Wahrlos, ohne Grund und einfach nur so, so etwas zu beschädigen. Was geht in so einem Menschen vor? Was bewegt ihn einen Schneemann umzuhauen, der gut gemacht ist, und der hinterher zerstört ist?

Fast banal, möchte da wieder Einer sagen, der das alles albern findet: "Bei einem Schneemann ist nichts dabei." Dennoch ist es das Zerstören von etwas, was einem Andern wichtig ist. Fängt es da nicht an? Was geht in einem Menschen vor, der einen anderen Menschen ermordet. Man wird sagen der sei Geisteskrank und nicht normal im Kopf. Für den "normalen" Schneemannzerstörer ist es ein Stück in diese Richtung, ein Stück zur Abstumpfung, er macht etwas kaputt, was anderen Wichtig ist.

Als Thomas an diesem Abend nach Hause kam, fragte ich ihn, ob der Eismann noch steht, und er soll ehrlich sein. Thomas berichtete, das er kaputt ist, doch der Schaden begrenzt ist. Der Kopf sei nicht mehr auf dem Hals, jedoch hat er heil daneben gelegen. Der Hals hingegen war nicht mehr da, ebenso wie die Schultern und der Rest des Oberkörpers. Die beiden Beine, und der Unterleib und die unteren Hälften der Arme würden jedoch noch da stehen. Thomas erzählte, er hätte dem Mädchen noch mal erzählt, daß er das nicht gut findet und was das denn sollte... Als sie weg waren, da hat er dann den Kopf noch einmal ordentlich neben den Resten des Eismannes in den Schnee gelegt. Was davon stimmt, und was Thomas sagte, um mich zu trösten weiß ich nicht und will ich nicht ergründen. Ich will auch nicht noch einmal hingehen und nachschauen, um nicht noch mehr "fertig" zu sein.

OK. Ein Schneemann. Ich hätte auch nicht gedacht, daß so einer so viel Emotionen in mir hervorrufen könnte. Und doch war es so. Da meldet sich wieder einer der mich als Träumer und Kind bezeichnet. Es mag so sein. Doch wer sagt, daß das dumm ist? Vielleicht sind die Leute dumm, die so etwas kaputt machen, sich an so etwas ärgern und finden sie seien zivilisierter als ich, die das nicht mehr nachvollziehen können. Das gehe ich gerne ein, denn ich möchte eigene Erfahrungen machen und nicht bestimmte Dinge ausklammern, weil sie kindlich sind. Ich würde auch gerne mal mit einem Dreirad durch die Königsstraße fahren, die Haupteinkaufszone in Stuttgart. Und wenn es mich nur um die Erfahrung reicher macht, wie die Leute reagieren.