Figurentheater und ich mittendrin

Nach langem Wandern im Tal der Ungewißheit über meine berufliche Zukunft besann ich mich auf das was ich ohnehin immer schon mochte und gerne Tat. Mit Puppen spielen. Ich schwöre ich habe niemals eine Barbie angefaßt, nein ich fand Kermit und die Muppet-Show extrem faszinierend, als Kind natürlich so wie jedes gewöhnliche Kind dies findet, aber mit zunehmendem Alter nahm diese Begeisterung nicht ab, ich schaute wahnsinnig gerne diese Figuren an, mochte ihre billigen Gags und die Freiheit die sie sich nehmen.
Mit 13 etwa fing ich an aus lauter Lust heraus einen solchen Typen aus der Muppet-Show zu bauen, ich nannte ihn Gabriel und ich baute ihn, wie ich dachte das man solche Puppen bauen müßte. Mein Vater brachte mir von der Arbeit einen Block Schaumstoff mit und trat damit los, was bisher nicht aufgehalten werden konnte. Meine Begeisterung für alles "Puppige".

Heute, Jahre später, habe ich etliche Puppen mehr gebaut, habe sehr viel mehr Arten als nur diese eine Gattung von Puppe kennengelernt und habe etliche Theaterstücke angesehen.
1999 ging ich als Student an die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst nach Stuttgart, um dort einen exotischen Studiengang zu studieren der sich "Figurentheater" nennt. Man kann dieses Fach nur noch in Berlin studieren.
Nach dem Abschluß, den ich im Mai 2003 gemacht habe, bin ich nun Dipl. fig. und darf mich "Diplom Darstellender Künstler / Figurentheater" nennen. Also richtig was Handfestes und kein Volkshochschulabschluß.

Als Figurentheater kann man grob alles bezeichnen was mit Figuren auf der Bühne zu tun hat: Das fängt ganz klassisch an bei den traditionellen Marionettentheatern und Handpuppenspielern. Augsburger Puppenkiste, Gerhards Marionetten, Die Schedls, Die Hohensteiner.
Schattenspiel gehört ebenfalls zum Begriff. Hier gibt es besonders in Asien eine lange Tradition.
Objekttheater belebt Gegenstände, spielt also nicht mehr mit extra gebauten Puppen, sondern mit Alltagsgegenständen und nutzt deren Fähigkeiten und Eigenschaften für die Darstellung. Eine Feder verhält sich anders als ein nasser Sack, ein Seil anders als ein Schuh.
Hier ist der Übergang zum Materialtheater fließend, wobei Materialtheater noch mehr auf die eigenen Fähigkeiten des Materials, der "Darsteller" ausgeht.
Es fängt also bei den Klassikern an, durchschreitet sämtliche Abstufungen und Abstraktionen, mischt sich mit Schauspiel, wobei ganz neue Eigenschaften entstehen und endet irgendwo im Tanztheaterbereich, wo auch unter Umständen gar keine "Puppen" im bekannten Sinne mehr vorhanden sind, sondern viel mehr die Darstellungsmethoden des Figurentheaters wirken.

Soweit vielleicht nur ein kleiner Überblick über ein umfassendes Thema, welches hier weiter zu Beschreiben wirkliche Arbeit wäre. Viele viel schlauere Leute als ich haben tolle Bücher geschrieben, die das Faszination Figurentheater erforschen, wer mag darf sich hier vertiefen. Ich jedoch möchte Ihnen erörtern was gerade mich reizt und meine Schwerpunkte sein sollen.

Ich mag das Bruchstückhafte. Gerade im Figurentheater kann man bruchstückartig spielen, das ist sogar eins der großen Vorteile die man im Schauspiel z.B. nur schwerlich machen kann. Besonders äußert sich das bei der bildnerischen Gestaltung der Figuren, die durchaus sehr bruchstückhaft sein können. Es reicht unter Umständen ein Arm, ein Tuch als Körper, eine Nase als alleiniger "Kopf". Der Zuschauer kann es annehmen und als neue Figur, als neue Gegebenheiten dieser "Welt" die dargestellt wird, akzeptieren. Auch mit Texten kann man ähnlich verfahren um diese Welt darzustellen, mit Spielweisen, Bewegungen, hier noch unterstützen. Soll ein kaputter Charakter dargestellt werden liegt nichts näher als ihn von einer "kaputten" Figur spielen zu lassen, soll eine heimliche heile Welt gezeigt werden, so liegt nichts näher als mit Barbiepuppen zu spielen, die darüber hinaus auch gleich wieder das Heile in Frage stellen.

Ich mag das Täuschende. Ich mag es wenn Ilusionen entstehen wo keine sind. Wenn sich das Hirn des Zuschauers verdreht und es doch offensichtlich einfach zu begreifen ist was auf der Bühne geschieht.
So kann z.B. die Hand eines offen spielenden Puppenspielers, der unverdeckt z.B. hinter seiner Puppe steht, zur Hand der Puppe werden, etwa eine Nuß knacken und sie dem Spieler in den Mund stecken. Der Zuschauer akzeptiert die Hand als Hand der Puppe, durch die die Puppe handelt, obwohl es offensichtlich ist daß dies die Hand des Spielers ist. Und es "verrenkt" sich das Hirn zurück, wenn der Spieler mit dieser Hand der Puppe an der Nase zieht. So wechselt die Hand die "Besitzer", und das ist höchst vergnüglich.
Ich mag auch täuschend echte Figuren die lebensgroß und sehr realistisch gebaut und bemalt sind. Es ist ein wahnsinniger Effekt, wenn einem auf der Bühne stehenden Mann etwas aus dem Bauch wächst, er einen dritten Arm bekommt, sich der Kopf abtrennt und herunterfällt, er ihn sich aufhebt und wieder aufsetzt. Ich finde es auch interessant Magie, also Showzauberei, mit den Darstellungsmöglichkeiten des Figurentheaters zu verbinden.

Der Effekt "das etwas lebt" ist nicht nur zu erreichen indem man möglichst realistische Figuren baut. Ebenso kann man häßliche, schrumpelige Stofffetzen zu liebenswerten Charakteren machen. Die eigentliche Kunst am Puppenspielen, sind es nun gestaltete Puppen oder hingeworfene Servierten, die scheinbar von selbst den Rest Soße aufsaugen, ist eben das Beleben von Dingen, Leben einhauchen, Odem geben.
Eine kunstvoll gestaltete Puppe ist leider nicht immer theaterwirksam, d.h. so gestaltet das sie auf der Bühne bestimmte Effekte erzielt, sondern ist oft einfach "nur" Kunsthandwerk. Das finde ich nicht so reizvoll, denn ich bin "Spieler". Ein einfacher Schuh oder eine bewegliche Serviette hat für mich oft charakteristischere Wesenszüge.

Ich mag das Theater. Ich finde diese gewachsene Maschinerie und die zelebrieten Prozeduren klasse. Das Abgeben der Jacke gegen eine kleine Nummer, das Öffnen der Vorhänge, das Auftreten aus den Soufitten, das markieren der Position der Bühnenteile durch farbige Klebebandkreuze, das Ausleuchten, die Pause, der Applaus... Alles Dinge die ich liebe und die ich gerne aufgreifen möchte. Die ganze Bühne mit Markierungen zukleben, ein Vorhang nach dem anderen der aufgehen kann, Wechsel der Spielrichtung und dadurch mal ein Blick der Zuschauer von der Seite auf die Bühne. Zumindest mag ich diese Ideen und kann mich daran erfreuen, wie sehr ich sie nutzen werde wird von anderen Dingen abhängig sein....

Die Welt die sich für mich im Studium geöffnet hat finde ich spannend, unsagbar reich und groß, und beeinflußt mich sehr. Dennoch habe ich meine Vorliebe für die Klappmaulpuppen nie vergessen, meinen Anfängen, und werde wohl nie keine Freude beim Anblick der "Muppet-Show" haben. Jüngere Generationen wissen mit unter gar nicht mehr was "Muppet-Show" ist, eine Schande, ich finde man sollte die Folgen mal wiederholen, alle! Auch wenn ich selber diese Vorliebe nicht umsetzte, sondern andere Dinge weitertreibe die mich mehr zum Theater anregen, genieße ich diese Art von Puppenspiel extrem.



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