Episode aus Miguel de Cervantes Roman Don Quijote

»Don Quijote und Sancho Panza waren jetzt bei der Schenke angekom-men, als es schon Abend wurde, und Sancho freute sich sehr, als er sah, dass sein Herr sie für eine ordentliche Schenke und nicht, wie gewöhnlich, für ein Kastell ansah. [..4]
Indem trat in die Tür der Schenke ein Mann, der ganz, Strümpfe, Hosen und Wams, in Gemsleder gekleidet war; und rief lauter Stimme: >Herr Wirt! Habt Ihr Quartier? Denn es kommt der wahrsagende Affe und das Spiel von der Befreiung der Melisendra.<
>Dass dich der Teufel!< rief der Wirt aus, >da ist ja Meister Peter! Nun werden wir einen lustigen Abend haben.< [...]
Don Quijote fragte den Wirt, wer der Meister Peter sei und was er für ein Spiel bei sich habe. Worauf der Wirt antwortete: >Der Mann ist ein großer Puppenspieler; der schon seit langem im Lande herumzieht und ein Spiel aufführt, wie Melisendra von dem berühmten Don Gayferos be-freit wird; eine von den schönsten dargestellten Geschichten, die man seit vielen Jahren in diesem Teile des Königreichs gesehen hat.< [...]
Don Quijote und Sancho folgten ihm und sahen, dass das Schauspiel schon aufgestellt und zurechtgemacht war, von allen Seiten mit brennen-den Wachslichtchen umgeben, die es hell und glänzend machten. Meister Peter begab sich nun dahinter, weil er die Figuren des Kunstwerks regie-ren musste, und vorne stellte sich ein Junge, der dem Meister Peter dien-te, um den Geheimnissen des Schauspiels als Dolmetscher und Erklärer zu dienen. [...] Alle hingen aufmerksam am Munde des Erklärers dieser Wunderwerke, als sie hinter dem Spiele eine Anzahl von Oboen und Trompeten vernahmen und ein Abfeuern vieler Kanonen, welcher Lärm aber nicht lange dauerte, und sogleich erhob der Junge seine Stimme und sprach: >Diese wahrhaftige Historie, die jetzt meine edlen Herren darstellen sehen, ist buchstäblich aus französischen Chroniken spanischen Romanzen genommen, welche jedermann kennt und wel die jungen auf der Gasse singen. Der Inhalt ist, wie Don Gayferos Gemahlin Melisendra befreite, die sich gefangen in Spanien in der Gewalt der Mauren befand und zu Saragossa lebte. Seht hier, meine Herren, Don Gayferos beim Brettspiel, sowie man singt: >Im Brette spielend sitzet Don Gayferos / Und hat die Melisendra schon vergessen.< [...]
Jene Person, welche auftritt mit der Krone auf dem Haupt und Zepter in der Hand, ist der Kaiser Karl der Große, der vermeintliche dieser Melisendra, der verdrießlich ist, da er den Müßiggang und die Sorglosigkeit seines Eidams sieht; er kommt jetzt heraus, um ihn au schelten. Seht nur; wie er heftig und eifrig mit ihm schilt; sieht es doch nicht anders aus, als wenn er ihm mit dem Zepter ein halbes Dutzend Kopfstöße gäbe, und zwar tüchtig. Und nachdem er ihm viele Vorwürfe gemacht, welche Gefahr seine Ehre liefe, wenn er seiner Gemahlin nicht Freiheit schaffte, sagte er zuletzt noch: >Nun hab' ich's gesagt, erwägt es!<
Sehen meine Herren nun, wie der Kaiser sich wieder umwendet wie Don Gayferos im höchsten Verdrusse zurückbleibt; sehen Sie nur, er ungeduldig vor Zorn Brettspiel und Steine weit von sich wegschmeißt und hastig seine Waffen begehrt; wie er seinen Vetter Roland bittet, ihm sein Schwert Durindana zu leihen, und wie Roland es ihm nicht leihen will, ihm aber seine Gesellschaft anbietet. Aber Don Gayferos will nicht annehmen; er sagt vielmehr; daß er allein hinreiche, seine Gemahlin zu erlösen, und wenn sie mitten in den Abgründen der Erde verborgen wäre ...«

(aus Don Quijote von Miguel de Cervantes)